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Das Paketboxen Dilemma und wie traditionelle Paketdienste Amazon den Markt überlassen

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Der Ausstieg der Deutschen Post aus dem Verkauf von Paketkästen zeigt das Dilemma auf, in dem sich der traditionelle Paketmarkt befindet. Wenige Marktteilnehmer, in diesem Fall DHL, DPD und Hermes stellen fast alle Sendungen aus dem Onlinehandel bei Verbrauchern zu. Sie arbeiten mit faktisch geschlossenen Lösungen, um die jeweils eigene traditionellen Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle zu schützen. Die Empfängerseite nimmt die proprietären Lösungen kaum an. Unzufriedene Empfänger, hohe Prozesskosten und damit geringe oder negative Deckungsbeiträge sind die Folge. Neue Serviceangebote können sich nicht entwickeln. Innovativen neuen Marktteilnehmern wird der Markteintritt maximal erschwert oder unmöglich gemacht, indem die etablierten Marktteilnehmer die Zustellung in Paketboxen anderer Betreiber quasi verweigern.

 

5 Gründe für das Paketboxdilemma

Auf dem Markt sind inzwischen vielfältige Paketboxlösungen zu finden. Der traditionelle Paketmarkt scheitert jedoch beim Aufbau flächendeckender Paketboxsysteme weil sich traditionelle Paketdienste weigern, in die Paketboxsysteme dieser Drittanbieter Sendungen zuzustellen. Die Gründe für die Nichtzustellung unterteilen sich in 3 Kategorien: „nicht wollen“, „nicht können“ oder „nicht dürfen“.

 

Paketdienste „wollen nicht“ in Paketboxen Dritter zustellen

Paketdienste wollen die eigenen Systeme stärken und gleichzeitig die Systeme von (vermeintlichen) Wettbewerbern schwächen oder den Aufbau ganz verhindern. Zusätzlich sind sie nicht bereit Daten zu teilen. Sie wollen ihre IT Landschaft nicht anpassen, da sie die Ressourcen für andere Projekte benötigen. Rechtliche Gründe werden als Begründung dafür „gefunden“, um Drittsysteme nicht beliefern zu müssen. Auch die fehlende Bereitschaft, Daten herauszugeben zählt zu dieser Kategorie.

 

Paketdienste „können nicht“ in Paketboxen Dritter zustellen

Es gibt keine Möglichkeiten die eigenen Zusteller für das Einlegen in Paketboxen Dritter zu schulen. Nachunternehmer können nicht angewiesen oder motiviert werden, Sendungen in Drittsysteme einzulegen. Eine inflexible oder überalterte IT Landschaft kann Dritten nicht über neue Schnittstellen geöffnet werden.

 

Zusteller „können nicht“ in Paketboxen Dritter zustellen

Zusteller können nicht zustellen, da sie:

  • die Box nicht finden bzw. nicht wissen, dass eine Box existiert
  • nicht verstehen, wie die Box geöffnet werden kann
  • das Equipment zur Öffnung der Box nicht vorhanden ist

 

Zusteller „dürfen nicht“ in Paketboxen Dritter zustellen

Es besteht ein Verbot durch die Paketnetzwerkbetreiber oder die Unternehmensleitung des Nachunternehmers.

 

Zusteller „wollen nicht“ in Paketboxen zustellen

Zusteller „wollen nicht“ zustellen gilt für die Fälle, wenn die Box beispielsweise einen ungünstigen Standort hat oder die Bedienung zu aufwändig ist.

 

Auswirkungen auf den Paketmarkt

Der gesamte Markt außerhalb von Amazon wird dadurch geschwächt. Die etablierten Anbieter reagieren mit Preiserhöhungen und Leistungseinschränkungen für das klassische Produktportfolio. Sie bringen nur solche angeblich „innovativen“ Serviceangebote auf den Markt, die die eigenen Wertschöpfungsketten nicht angreifen. Wirkliche Innovationen, die traditionelle Arbeitsabläufe auf den Kopf stellen, werden im Keim erstickt. Der Markt außerhalb Amazon ist in Geiselhaft der etablierten Paketdienste.

Es droht ein Szenario, indem die traditionellen Paketdienste in ihrem aussichtlosen Kampf um das eigene Überleben, große Teile des traditionellen Marktes mit in den Abgrund zu ziehen.

Wirklich innovative Serviceangebote werden dadurch nur noch von Amazon aufgebaut. Die Plattform ist als einzige unabhängig vom traditionellen Markt und baut ihren Marktanteil kontinuierlich aus. (siehe auch "5 verplemperte Jahre: DHL und das Aus für den Paketkasten" auf excitingcommerce.de)

Auswirkungen auf Online- und Einzelhandel

Online- und Einzelhändler finden außerhalb der Amazonplattform keine adäquaten Logistikangebote und sehen sich dadurch auch vor diesem Hintergrund gezwungen, über diese Plattform zu handeln und Waren auszuliefern. Die Wertschöpfung wird maßgeblich von Amazon realisiert. Online- und Einzelhändler werden zum Erfüllungsgehilfen.

 

Auswirkungen auf Kommunen und die Volkswirtschaft

Wirtschaftsverkehre, hier Lieferverkehre in den Kommunen werden mehr und mehr durch global agierende Plattformen wie Amazon gestaltet. Kommunen und Bürger verlieren Gestaltungs- und Mitsprachemöglichkeiten sowie Wertschöpfung. Der regionale Mittelstand wird geschwächt und ist immer weniger in der Lage, Alternative Zustellsysteme anzubieten. Werthaltige Aktivitäten realisiert auch hier die Plattform selbst, Aufgaben mit geringer Wertschöpfung werden delegiert. Mit Hilfe kreativer Anwendung der Steuergesetze werden Gewinne und Steuern an „beliebigen“ Orten weltweit, nicht jedoch in den Regionen in denen sie erwirtschaftet werden, realisiert.

 

Der Markt wird global agierende Plattformen wie Amazon überlassen

Auf der anderen Seite baut Amazon seine Zustell- und Paketboxsysteme kontinuierlich aus. Das System basiert auf geschlossenen Standards von Amazon. Ziel ist es, zukünftig Sendungsmengen dritter Versender mit eigenen Sendungen zu bündeln. Dadurch werden Auslastung und damit Effizienz gesteigert. Die Systeme sind zu einseitig von Amazon gesetzten Bedingungen zugänglich. Die Beteiligten werden abhängig und verlieren ihre Autonomie. Am Wert der eingebrachten Ressourcen partizipiert maßgeblich der Plattformbetreiber. Die anderen Beteiligten partizipieren nur soweit, wie es der Plattformbetreiber zulässt. Zugangsregeln werden willkürlich zum Vorteil des Plattformanbieters geändert. Das ist beispielsweise

bereits bei den Amazon Webshops für Onlinehändler sowie im Fulfillment (FBA) umgesetzt. Durch Herrschaft über die Daten können dritte Prozessteilnehmer jederzeit und willkürlich ausgeschlossen werden, sobald dies vorteilhaft für die Plattform ist.

siehe auch:

„DHL stellt den Paketkasten ein“ - “Die Arbeit geht weiter” - “Alle sind aufgerufen” von Jesper Okkels

Wie die Deutsche Post die zukunftsfähige Zustellung vergeigt - auf t3n

5 verplemperte Jahre: DHL und das Aus für den Paketkasten" von Jochen Krisch auf excitingcommerce.de

 

Im nächsten Beitrag folgen Lösungszenarien für traditionelle Marktteilnehmer, also dranbleiben!

 

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Kommentar von LogTech-Verband Digitalisierung und Vernetzung eV |

Das Dilemma der Paketdienste wird sich noch weiter verschärfen, nicht die Paketboxen sind das Hauptproblem, sondern instant delivery. Diese Belieferungsform wird durch die Logistik als überflüssig und zu teuer klassifiziert; Amazon hingegen favorisiert diese Form, da sie die Kundenzufriedenheit erhöht, vom Wettbewerb abschirmt, Daten generiert und damit höhere Transportkosten kompensiert.

Im Gegensatz zu next day delivery, was die Paketdienste – bis auf die letzten Meter – perfekt beherrschen, wird instant delvery nicht mehr mit Paketdiensten, sondern mit Botendiensten – per Pedes oder per Rad – realisiert.

Durch die kurzen Lieferzeiten ist eine wesentliche höhere Antreffquote der Kunden zu realisieren, so dass das beschriebene Paketbox-Dilemma abgemildert wird. Gleichwohl würden die Botendienste auch von einer Paketbox-Lösung profitieren.
Instant delivery bietet lokalen Händlern mit kundennahen Warenvorräten eine echte Chance gegen Amazon & Co., weil sie schneller liefern können. Als Partner kommen hier die Botendienste ins Spiel, die on demand Lieferungen abholen und beim Kunden zustellen. Dies führt zu einer Wiederbelebung des innerstädtischen Handels und zu einer Entlastung des Verkehrs – zwei von der Politik zu begrüssende Effekte.

Zu erwarten ist aber, dass die Paketdienste in den Innenstädten Rückgänge zu beklagen haben werden, und zwar systembedingt; die DHL hat ja den Brief schon an die eMail verloren, verliert jetzt gerade das Paket an die Botendienste – das einzig Wertvolle, die innerstädtischen Postämter, hat sie verkauft.

Und Amazon schaltet alle aus Zentrallagern versendende eCommerceler aus – der lokale Handel wird es ihnen danken.