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Förderprojekt „Elektromobile Logistik in Ettlingen“

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Ettlinger Altstadt soll wieder Fußgängern gehören - und nicht Lieferwagen

Viele Menschen fühlen sich in der Fußgängerzone der Ettlinger Altstadt beim Einkaufen nicht mehr wohl: Die Zahl der Lieferwagen mit Paketen aller Art hat gerade in Corona-Zeiten deutlich sichtbar zugenommen. Mit einem neuen Konzept und Hilfe aus der digitalen Welt will die Stadt Ettlingen in ihrer Fußgängerzone die Zahl der Lastwagen drastisch reduzieren.

Die Stadt Ettlingen möchte die Paketzulieferung in der Altstadt auf neue Füße stellen. Die Initiative löste ein Schlüsselerlebnis von Johannes Arnold im OB-Wahlkampf im Mai 2019 aus: „Als ich an meinen Werbestand auf dem Marktplatz stand, fuhren fünf Paketautos fast über meine Füße.“

Die wachsende Zahl an Lieferwagen von Kurier-, Express- und Paketdiensten machen den Gang durch die Leopold-, Markt- und Kronenstraße jeden Morgen zwischen sieben Uhr und zwölf Uhr zu einem kleinen Spießrutenlauf. Die Gefahr, von einem dieser „Sprinter“ angefahren zu werden, die Pakete aller Art sowie Stückgut zu Geschäften und Wohnungen bringen, nimmt zu.

Zahl der Lieferfahrzeuge steigt stetig weiter

Von 1995 bis 2020 stieg die Zahl der Lieferfahrzeuge in Deutschland um das Siebenfache. Hauptverursacher dabei war der Online-Handel. Mit elektromobiler Logistik will Ettlingen, das im Mittelbadischen seit geraumer Zeit mit anderen Großen Kreisstädte ein digitales kommunales Netzwerk unter dem Begriff „regional.digital” voranbringen will, eine Alternative zum stressigen Lieferverkehr in der Altstadt Ettlingen entwickeln.

Die Idee besteht im Wesentlichen aus zwei Säulen. Erstens soll die Paketlieferung an einem Ort gebündelt werden. Im „IT-Chinesisch” heißt dieser Ort „Micro-Hub”.

Mini-Logistik-Zentrum in Ettlingen-West

Das Mini-Logistik-Zentrum soll im Industriegebiet Ettlingen-West aufgebaut werden. Von dort sollen künftig die Zusteller der Kurier-, Express- und Paketdienste ihre Waren mit einem elektrischen Lastenrad oder einem E-Mobil paketdienstunabhängig in der Ettlinger Altstadt verteilen.

Andreas Kraut, Hauptamtsleiter der Stadt Ettlingen und zuständig für öffentliche Digitalisierungsprojekte, will mit Hilfe des Projekts dem wilden Liefern von Paketen in der Altstadt einen Riegel vorschieben. Um dies zu erreichen, sieht er als zweite Säule auf dem Weg zur Verwirklichung einer guten elektromobilen Logistik in Ettlingen die Einrichtung eines öffentliches Paketschranks (Packstation) zur Selbstabholung.

Pilotversuch läuft bis 31. Dezember 2021

Wenn es nach den Vorstellungen von Andreas Kraut ginge, könnte diese Packstation zentral am intermodalen Knoten „Regiomove” am Ettlinger Stadtbahnhof realisiert werden. Dort verkehren beispielsweise bereits die Fahrzeuge von „My Shuttle“, sind Fahrräder von KVV.nextbike abgestellt und könnten künftig mit Straßenbahnen ebenfalls Pakete angeliefert werden.

Falls der bis zum 31. Dezember 2021 geplante Pilotversuch ein Erfolg werden sollte, erwartet Johannes Arnold noch als zusätzlichen Effekt „die Erhöhung der Lebensqualität für Einwohner und Gäste und eine geringere Umweltbelastung in der Altstadt.“

Eine gemeinsame Paketstation für alle Kurierdienste

Wichtig bei beiden Säulen ist für Kraut, dass es sich um sogenannte „White Label”-Zugänge handelt. Das bedeutet, dass die Infrastruktur für alle Paketdienste von DHL über Hermes bis zu UPS bereitgestellt wird und nicht nur für einzelne Dienstleister.

Im Gegenzug fahren diese Dienste nicht mehr in die Fußgängerzone der historischen Altstadt. Kraut erwartet von den Lieferdiensten eine finanzielle Beteiligung an dem Vorhaben, um Pakete auf der sogenannten Letzten Meile den Kunden zuzustellen oder aber Ware vom Kunden entgegenzunehmen.

Er hat dafür auch eine gute Begründung: „Bei der Zustellung von Paketen kostet die letzte Meile über 40 Prozent der gesamten Zustellkosten.” Der Grund sei vergleichsweise einfach: Die Kosten für die Zusteller seien im Vergleich zu anderen anfallenden Kosten des Pakettransports und der -verteilung sehr hoch.

Jeden Morgen das gleiche Bild in der Ettlinger Altstadt: Die Liefer- und Kurierdienste prägen das Bild in der Fußgängerzone. Foto: Johannes-Christoph Weis

 

Ettlinger Unternehmen sollen mitmachen

Es könne sich also für alle Beteiligten eine „Win-Win-Situation” ergeben. Froh sind die Initiatoren der Stadt Ettlingen, dass sie für ihr Logistik-Projekt „Letzte Meile mit E-Mobilität” verschiedene private Projektpartner gefunden haben. Auch ist beabsichtigt, Ettlinger Unternehmen zu gewinnen, die Pack- oder Abholstationen für ihre Mitarbeiter anbieten wollen.

Es ist ein Pilotversuch. Das ist hier ein Reallabor.

Johannes Arnold, Oberbürgermeister

Und eines betont Oberbürgermeister Johannes Arnold, der stolz darauf ist, wie viele unterschiedliche digitale Projekte seine Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren angestoßen hat: „Es ist ein Pilotversuch. Das ist hier ein Reallabor.”

Das habe das Land Baden-Württemberg erkannt. Es lasse deshalb dem Projekt eine Förderung in Höhe von rund 250.000 Euro zukommen. Die Gesamtkosten kommen für 2020 und 2021 auf 406.000 Euro, danach wird Bilanz gezogen.

Elektrische Lastenräder fahren in die Altstadt

Apropos Micro-Hub im Industriegebiet. Hier hat sich die Firma Transport Betz angeboten, auf ihrem Gelände die Pakete der großen nationalen Lieferdienste entgegenzunehmen. Mitarbeiter der in Malsch ansässigen Speditionsfirma werden dann in die Pedale eines Lastenrads treten oder sich ins E-Fahrzeug setzen und die Waren in den Bereich Leopold- und Kronenstraße bringen.

Noch in diesem Jahr soll der Micro-Hub seine Arbeit aufnehmen. Langfristiges Ziel von OB Arnold ist es, alle Diesel-Lieferfahrzeuge aus der Altstadt herauszubringen und auch in den Morgenstunden den Aufenthalt der Fußgänger beim Einkaufen und beim Sitzen in den Freiluft-Cafés wieder angenehmer zu gestalten.

Transport Betz bringt Erfahrungen einer Spedition ein

Martina Betz-Weber, Chefin von Transport Betz, verwies in ihrem Statement darauf, dass jede Stadt bezüglich ihrer Lieferdienste ein individuelles Konzept entwickeln müsse. Das hänge nicht nur von der jeweiligen Einwohnerzahl ab, sondern von komplett unterschiedlichen Strukturen. So gebe es Innenstädte mit vielen Büros, Innenstädte, in denen eine Vielzahl von Fahrzeugen von Handwerkern unterwegs seien, und andere, in denen noch viele Bürger wohnten.

Sie sprach auch davon, dass das Projekt nur funktioniere, wenn möglichst viele Bürger mitmachten. Sie sprach zudem von enormen Herausforderungen hinsichtlich des Einsatzes zusätzlicher IT-Dienstleistungen. Für diesen Teil hat die Stadt Ettlingen auch die Firma Pakadoo GmbH gewonnen.

Pakadoo entwickelt IT-System für Zustellung

Das in Herrenberg entstandene Start-up soll das erforderliche IT-System entwickeln. Pakadoo will laut Geschäftsführer Michael Strohäcker helfen, die elektromobile Zustellung zu einem tragfähigen Modell zu machen. Ebenfalls mit von der Partie ist die Hochschule Reutlingen, die das Projektmanagement und die wissenschaftliche Begleitung des Projekts übernimmt.

Abschließend meinte OB Johannes Arnold, das Projekt könne in der Praxis nur erfolgreich sein, wenn möglichst viele Bürger der Altstadt, die Ettlinger Unternehmen und insbesondere der gesamte Einzelhandel aktiv mitmachen.

Unterschiedliche Zuschüsse für die Projektpartner

Der Kostenanteil des 406.000-Euro-Projektes verteilt sich auf rund 48.000 Euro für die Fachhochschule Reutlingen, rund 68.000 Euro für die Stadt Ettlingen, knapp 110.000 Euro für die Pakadoo GmbH und etwas über 181.000 Euro für Transport Betz. Die beiden privaten Projektpartner müssen die Hälfte ihres finanziellen Einsatzes selbst aufbringen, die Stadt 20 Prozent und die Hochschule wird zu hundert Prozent vom Land bezuschusst.

 

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