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KEP-Dienste: Internet als Prüfstein für KEP-Dienste

aus: KEP aktuell 4/2013
KEP-Unternehmen sind „Verbraucherversteher“ – Vernetzung als Chance – Sinn und Unsinn paralleler Logistikstrukturen

Seit nunmehr einer Woche ist Bettina Schreiber krank ans Bett gefesselt. Sie braucht einiges aus der Apotheke und frische Lebensmittel müssen her. Guter Rat ist teuer: Sie ist neu in der Stadt; Freunde, Bekannte und Verwandte sind weit weg. Da fällt ihr das neue Internetportal ein, von dem sie neulich gelesen hat. Beim Mitbringservice Bringbee.ch kann man sich den Einkaufsweg sparen. Innerhalb weniger Minuten ist der Einkaufszettel eingetippt, und bis zum Abend sind alle Einkaufswünsche gebracht.

Solche Logistik-Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden. Den Treibstoff dazu liefert der boomende E-Commerce. Inzwischen treibt er auch die Logistikbranche vor sich her. Etablierte KEP-Unternehmen tun sich schwer damit. Kostendruck, Silodenken, Besitzstandswahrung, Angst vor Veränderung und interner Wettbewerb sowie lokales Denken verhindern Innovationen.

Andere Branchen erleben das schon seit vielen Jahren. Passen sich Unternehmen nicht im notwendigen Maß an, kann der digitale Wandel sie töten. Die Liste der Opfer ist ebenso prominent wie lang: Quelle, Neckermann, Arcandor, Financial Times Deutschland sind nur einige der Verlierer. Andere vermeintlich unsinkbare Schlachtschiffe haben Schlagseite und kämpfen um ihr Überleben. Sie alle haben die Veränderungen durch das Internet zuerst ignoriert, danach belächelt, später bekämpft und sind am Ende gescheitert.

KEP-Unternehmen als „Verbraucherversteher“

Neben den sich radikal verändernden Anforderungen an die Logistikprozesse stehen KEP-Unternehmen vor einer zweiten, noch größeren Herausforderung: Sie müssen sich auf neue Kunden ausrichten: Auf die Verbraucher als Empfänger von Warensendungen. Bislang kennen Logistikunternehmen vorrangig nur eine Kundengruppe: Unternehmen als Versender von Waren. Mit ihnen werden Verträge geschlossen. Sie zahlen die Vergütung für Transportdienstleistungen, und das Transportrecht richtet sich an dieser Partnerschaft aus. Verbraucher als Empfänger der Sendungen kamen in diesem B2B-Geschäft gar nicht vor oder hatten im Zusammenhang mit der Zustellung von Briefen und Paketen wenig zu melden. Für KEP-Unternehmen sind sie bislang eher störend, da sie mehr Kosten als Einnahmen und im Zweifel zusätzlich Ärger bringen. Der ideale Empfänger hat einen möglichst großen, gut erreichbaren Briefkasten und ist bei der Zustellung von Paketsendungen am besten im Zeitfenster von 8 bis 18 Uhr zu Hause.

Doch das Internet hat in vielen Branchen die Beziehung zwischen Unternehmen und Verbrauchern radikal verändert. Erfolgreich werden E-Commerce-Plattformen nur, wenn sie sich konsequent an den Nutzerbedürfnissen ausrichten. Diese Entwicklung erfasst mittlerweile auch die Logistikbranche. Die extreme Nutzerorientierung bezieht sich nun auch auf die Zustellung von Warensendungen beim Verbraucher und die Rückführung von Retouren. Verbraucher werden zum „Dirigenten“ der Logistikkette. Diejenigen Dienstleister, die ihn dabei am besten verstehen, haben die größten Chancen auf erfolgreiche Geschäfte. Doch KEP-Unternehmen als „Verbraucherversteher“? Das zählt bisher nicht zu ihren Kernkompetenzen. Prominentes Beispiel dafür sind die schmerzlichen Erfahrungen der Deutschen Post aus der Einführung des E-Postbriefs. Trotz eines dreistelligen Millionenaufwands wurde das Produkt bisher von der Masse der Verbraucher nicht angenommen.

Vernetzung als Chance

Erfolgreich sind Unternehmen wie Amazon, Ebay, Airbnp und Facebook. Sie verstehen Wünsche und Bedürfnisse der Verbraucher. Zu ihren wesentlichen Erfolgsfaktoren zählen ihre offenen Plattformen, die Anbieter und Kunden, Sender und Empfänger auf neue Art und Weise vernetzen. So sind zum Beispiel Handelsplattformen auf der einen Seite offen für Händler mit unterschiedlichsten Produkten.

Diese Offenheit bietet vielfältige Vorteile: Die Händler haben Zugriff auf eine größere Kundenbasis. Einheitliche Stammdatenverwaltung, Warenkorbfunktionen und Bezahlsysteme nehmen ihnen den aufwändigen Betrieb eigener Systeme ab. Durch neue Marketingoptionen erschließen sie sich neue Kundensegmente. Allerdings setzt sie diese Offenheit auch in starken Wettbewerb: Plötzlich finden sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Wettbewerbern wieder, und Kunden können mit wenigen Mausklicks den Anbieter wechseln. Das erfordert konsequente Kundenorientierung, die durch zufriedene Kunden dokumentiert wird.

Auf der anderen Seite vernetzt Amazon die Verbraucher: Mit ihren Einkäufen steuern sie direkt die angebotenen Waren und Dienstleistungen. Über öffentliche Produkt und Verkäuferbewertungen sind sie zum Meinungsbildner geworden und bestimmen maßgeblich über Erfolg und Misserfolg von Händlern und Produkten. Händler können auf der Basis dieser Bewertungen ihre Services und Produktangeboten optimieren.

Solche Plattformen ermöglichen einen permanenten Dialog zwischen allen Teilnehmergruppen. Der einstmals mächtige klassische Versand oder Einzelhandel kann hier nicht mithalten und verliert erhebliche Marktanteile.

Blaupause für KEP-Unternehmen

Diese Vernetzung kann Blaupause für die KEP-Branche sein. Doch wie müssen Plattformen aussehen, mit denen es gelingt, eine kritische Masse an Verbraucher zu erreichen und zu vernetzen? Wie können Verbraucher dort Logistikdienstleistungen bewerten und Verbesserungsvorschläge einbringen? Wie können sie möglichst einfach ihre Warensendungen, Track & Trace-Informationen und Kontaktdaten verwalten sowie mit KEP-Unternehmen kommunizieren? Das ganze Arsenal von Social-Media-Prinzipien von aktiver Teilnahme, kollektiver Zusammenarbeit, Transparenz und Unabhängigkeit bis hin zur Eigendynamik steht dafür bereit. Bisherige Erfolgsfaktoren von KEP-Unternehmen wie einseitige Machtausübung, Monolog, Intransparenz, Abschottung und Silodenken gehören in diesen Systemen zur Vergangenheit und führen in die Sackgasse, statt in die Zukunft.

Von Sinn und Unsinn paralleler Logistikstrukturen

In der KEP-Branche beginnen besonders die Paketdienste sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Regional agierende Kuriere und Postunternehmen zeigen von einzelnen Ausnahmen abgesehen wenig Innovationsdrang. Sie überlassen eher Start-ups wie Tiramizoo und Mytaxi delivery das Geschäft. Die Paketdienste setzen auf sehr ähnliche Strategien:

  1. Aufbau neuer Paketshops besonders im städtischen Bereich
  2. Aufbau von Paketboxen und Paketbriefkästen (nur Deutsche Post)
  3. Aufbau von Internetplattformen für Verbraucher zur Steuerung von Paketzustellungen
  4. Aufbau von Same-Day-Lieferstrukturen besonders im städtischen Bereich
  5. Vorankündigung von Zustellzeiten und wählbare Zeitfenster

Jedes Unternehmen baut dabei zum vermeintlich eigenen Vorteil sein eigenes in sich geschlossenes Ökosystem auf und aus.

Aus Sicht der Empfänger ist das eine unsinnige Entwicklung. Es entsteht ein unübersichtliches Nebeneinander von Internetplattformen, Paketshops, Retourenprozessen und Kommunikationswegen. Verbraucher lieben es einfach: Ein-Klick-Bestellung, ein Login für alles, einheitliche Stammdatenverwaltung und Kommunikationswege – das sind Entwicklungen, die zeigen, wohin die Reise eigentlich geht.

Für Amazon & Co. ist es durch eine geringfügige Erweiterung der Stammdatenverwaltung ein leichtes, die Hoheit über die Empfängerpräferenzen zu bekommen. Die Paketdienste werden dann diese Datenhoheit nicht erlangen und zum austauschbaren Erfüllungsgehilfen der Versender.

Der eine setzt auf Marktmacht, die anderen auf Risiko

Einer zumindest gewissen Logik folgt der massive Ausbau des eigenen Systems aus Sicht der Deutschen Post. Sie geht davon aus, dass sie ihr System aufgrund ihrer Marktmacht und Kapitalkraft durchsetzen kann und am Ende der Herr über alle Empfängerpräferenzen und die einzige flächendeckende Infrastruktur auf der letzten Meile ist. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass der Erfolg dieser Strategie fraglich ist. Bisher hatte die Deutsche Post mit internetbasierten Angeboten für Endkunden allerdings keinen Erfolg: Die ECommerce-Plattform Evita und die lebenslange E-Mail @epost.de wurden verkauft oder eingestellt. Der E-Postbrief wird vom Verbraucher bisher kaum angenommen.

Der Aufbau paralleler Infrastrukturen von DPD, UPS, GLS und TNT ist eine extrem riskante und teure Strategie, da sie zusammen in der B2C-Zustellung nur über einen verschwindend kleinen Marktanteil von zirka zehn Prozent verfügen. In der Wahrnehmung der Verbraucher tauchen sie kaum auf. Es ist nicht zu erwarten, dass einer von ihnen eine kritische Menge an Empfängerpräferenzen auf seiner Plattform einsammeln kann. Die jeweils eigenen Paketshopnetze werden im städtischen Bereich denen von Hermes und der Deutschen Post unterlegen sein. Die Zustellung im ländlichen Bereich wird kaum kostendeckend möglich sein. Das alles sind Wettbewerbsnachteile, die Versender sehen und kennen.

Ausblick

Im KEP-Bereich sind somit folgende Entwicklungsszenarien denkbar:

A) Der Deutschen Post gelingt es, die Datenhoheit über Empfängerpräferenzen zu erlangen. Dazu hat sie die beste Infrastruktur auf der letzten Meile und die niedrigsten Prozesskosten. Ihr gelingt es, die Wettbewerber nach Belieben zu dominieren. Diese wiederum werden dann nur noch von den Versendern am Leben erhalten, damit sie nicht allein auf die Deutsche Post angewiesen sind.

B) Einigen wenigen E-Commerce-Plattformen gelingt es, die Empfängerpräferenzen einzusammeln. Da sie nun auch diese Datenhoheit haben, können sie damit beliebige Logistikpartner steuern. Eine wichtige Kernkompetenz, nämlich das Wissen über die Erreichbarkeit von Empfängern, verschiebt sich von Logistikdienstleistern zu Versendern. E-Commerce-Plattformen ohne Zugang zu Empfängerpräfenzen haben erhebliche Wettbewerbsnachteile. Der Markteintritt für neue Teilnehmer wird schwieriger.

C) Regionale Kurierdienste übernehmen mehr und mehr B2C-Zustellungen. Sie sind jedoch Erfüllungsgehilfen von bundesweit agierenden Plattformen, die entweder von Paketdiensten aufgebaut werden oder unabhängig von ihnen sind.

D) Es entsteht eine Art „Social-Media-Plattform für Pakete“.

Das Start-up www.pakete-umleiten.de zeigt, wie ein solches Portal aussehen kann. Es vernetzt offen Verbraucher, KEP-Unternehmen und Versender und richtet sich an den Empfänger-, nicht den Unternehmensinteressen aus. Verbraucher verwalten hier KEP-Dienstübergreifend ihre Stammdaten, Track & Trace-Informationen, Ersatzzustellungen und Kommunikationswege. Sie können Bewertungen abgeben, Paketshops vorschlagen, Retouren abwickeln und Verbesserungsvorschläge sowie Beschwerden einstellen. Diese Informationen sind Versendern wie KEP-Unternehmen offen und diskriminierungsfrei zugänglich. Sie fördern dadurch den Wettbewerb. Die Plattform wird von vielen Versendern und KEP-Unternehmen gefördert oder von ihnen initiiert, da sie sonst keinen Zugang zu diesen Informationen hätten und die jeweiligen Marktführer ihren Wettbewerbsvorsprung drastisch ausbauen würden.

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