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Schutz vor unangemessener Benachteiligung im Transportgewerbe (Axel G. Günther)

KEP aktuell 3/2012

Plädoyer für eine erweiterte Dimension sozialstaatlicher Verantwortung

Das Logistik- und Transportgewerbe wird stark geprägt durch eine untergliederte Leistungserbringung in sog. Sub-Auftragsverhältnissen. Sie sind seit jeher Bestandteil im Speditionsrecht. Vom ökonomischen Ansatz ist eine solche arbeitsteilende Untergliederung eine Förderung der Effizienz – für eine Leistung werden nur die unbedingt erforderlichen Kapazitäten und Ressourcen beansprucht bzw. eingesetzt. Die Kosteneffizienz gilt als volkswirtschaftlicher Gewinnmaßstab. In sozialer Hinsicht ist allerdings seit langem und zunehmend ein anderes, prekarisierendes Organisationsprinzip hinter der Arbeitsteilung auszumachen, die sich zu einem massiven sozialstaatlichen Problem auswächst. Seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im 19. Jahrhundert hat die Rechtsprechung im Bereich der Arbeitsverhältnisse einen hohen Schutzbedarf der persönlich abhängigen Arbeitnehmer erkannt. Sie ist diesem Schutzbedarf durch eine Vielzahl von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften regulierend begegnet. Die Arbeitskosten wurden auf diese Weise zu einem weitgehend unbeweglichen Kostenblock der Arbeitgeber.

Mit der Zunahme sog. subunternehmerischer Leistungsbeziehungen entziehen sich die Organisatoren von Dienstleistungen (z.B. Deutsche Post/DHL, DPD, GLS, Hermes) der sozialen Verantwortlichkeit für die tatsächlichen Leistungserbringer. Ihnen verbleibt keine organisatorische Verhandlungsmacht, weil sie mit oder besser: trotz ihrer Vertragsfreiheit keinen effektiven Einfluss auf die Bedingungen ihrer Leistungsverpflichtung ausüben können. Im Arbeitsrecht wird dieser Zustand als soziale Äquivalenzstörung verstanden, der mit den Mitteln des Rechts entgegen gewirkt wird. Im „freien“ unternehmerischen Verkehr gibt es bislang keinen nachhaltigen oder brauchbaren Ansatz einer vergleichbaren Ausbalancierung der tatsächlichen wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Die Folge ist, dass die zahllosen „selbständigen“ Leistungserbringer in dieser Branche schutzlos in Verarmung und Selbstgefährdung gedrängt werden, ohne dass ihnen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, wie sie die Arbeitnehmer im Bereich der Koalitionsfreiheit einsetzen können.

Der bekannte gesetzgeberische Versuch, durch Regeln zur „Scheinselbständigkeit“ und zum Schutz „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ dem Problem entgegenzuwirken, scheiterte. Der Rechtsprechung blieb bislang kaum mehr übrig, als schematisch und mechanisch die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale auf die subunternehmerischen Vertragsverhältnisse anzuwenden. Sobald sich aus diesen ergab, dass es einem Subunternehmer rechtlich freisteht, die von ihm geschuldete Leistung nicht persönlich, sondern durch Angestellte zu erbringen, war der Anwendungsbereich des „Rechts der Scheinselbständigen“ in der Regel erschöpft. Sie hatten dann im Schutz der Vertragsfreiheit auch „Schutz vor sozialstaatlicher Bevormundung“ – was sie in Wahrheit schutzlos machte. Eine Lösungsmöglichkeit wurde mit dem „Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ gesetzlich verwirklicht, das unter Weiterentwicklung des bisherigen Rechts seit 2001 in den §§ 305 ff. Bestandteil des BGB ist. Danach sind Vertragsvereinbarungen einer „Inhaltskontrolle“ unterworfen, was faktisch eine sozialstaatliche Einschränkung der Vertragsfreiheit bedeutet:

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. (BGB § 307 Abs 1)

Das Bundesarbeitsgericht ist seit längerem dazu übergegangen, die Vorschriften des § 307 BGB auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden, nachdem in Arbeitsverträgen grundsätzlich Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgemacht wurden. Aus der Systematik der Vorschrift ergeben sich zwei Regelungsbereiche, ? Schutz vor unangemessener Benachteiligung, wobei dies dadurch verwirklicht wird, dass den „Grundgedanken gesetzlicher Regelungen“ auch dort, wo von ihnen vertraglich Abstand genommen werden darf, eine Korrekturfunktion zuerkannt wird, das Transparenzgebot, mit dem der Übervorteilung einer schwachen Vertragsseite durch Beeinträchtigung der Willensfreiheit entgegengewirkt wird.

Das Bundesarbeitsgericht erläutert diese Bereiche wie folgt:

„Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Bei diesem Vorgang sind auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten. Zur Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind dabei Art und Gegenstand, besonderer Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob der Klauselinhalt bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung ergibt…“ (BAG v. 14.09.2011 – 10 AZR 526/10).

Die auslegende Normbestimmung des Bundesarbeitsgerichts zielt erkennbar über das Feld des Arbeitsrechts hinaus. Für die betroffenen SubAuftragsbeziehungen im Transportgewerbe ist die prinzipielle Anwendbarkeit eröffnet. Schwierigkeiten bereitet bislang, dass der Rechtsprechung keine hinreichenden Erkenntnisse über die „rechtlich geschützten Interessen“ sowie die „Eigenart des (jeweiligen) Geschäfts“ der schwachen Vertragspartner vorliegen. Die Schwäche dieser Vertragspartner bewirkt es auch, dass sie (bislang) diese Erkenntnisse nicht mit der erforderlichen Gewichtung aufarbeiten, organisiert verdeutlichen und geeignet, d.h. wissenschaftlich belastbar, vermitteln können.

Der BdKEP – Bundesverband der Kurier-ExpressPost-Dienste e.V. kann die rechtlich relevante Aufbereitung der Branchenverhältnisse nicht allein in dem Umfang leisten, dass sich für eine angemessene Entwicklung der Rechtsprechung im Sinne einer Erfassung sozialstaatlicher Schutzmaßstäbe für die vertragsschwachen Subunternehmer im Transportgewerbe nachhaltig wirkende Erkenntnisgrundlagen ergeben. Hier ist die Mitwirkung der gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder dringend erforderlich. Der BdKEP ersucht daher im Sinne eines umfassenden Aufrufs die verantwortlichen staatlichen Interessenwalter, sich vordringlich und nachdrücklich dieser Aufgabe anzunehmen und darauf hinzuwirken, dass die tatsächlichen Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe über eine fundiert ermöglichte Inhaltskontrolle von dem Prekarisierungsdruck befreit wird, der aktuell der bestimmende Motor der Branchenentwicklung ist.

RA Axel G. Günther

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